Kuratieren heißt: sich kümmern
- Natalie Peters
- 4. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Juli
Kuratorentreffen der Freien Musikszene,
Eine Initiative von Bruit und Carovana091
Was passiert, wenn neun Kurator:innen aus der freien Musikszene an einem Tisch sitzen? Wenn Gespräche entstehen – über Kunst, Arbeit, Politik. Über das Kleine, das manchmal größer ist als das Große?
Man trifft Menschen, die wissen, dass Nähe, Herzlichkeit und Intimität einem Event mehr Zündstoff und Kraft geben können als explodierende Zuschauerzahlen. Vor allem, wenn das Ganze mit Kontinuität einhergeht – und mit einer inneren Haltung, die sich nicht an Zahlen, sondern am künstlerischen und menschlichen Reichtum der Szene orientiert. Und an den Besonderheiten der verschiedenen Territorien in der Schweiz.
Ein Austausch über Sorgfalt. Haltung. Und die leise Radikalität von Konzerten im Miniaturformat. Ein Treffen, das inspiriert, durchwirbelt – und aus dem neue Ideen wachsen.
Das Wort kuratieren kommt vom lateinischen curare. Es bedeutet: sich kümmern, etwas pflegen. Aber auch: behandeln. Heilen.
Ich kuratiere in Locarno. Jonas Kocher in Biel. Manchmal telefonieren wir. Dann sagen wir Dinge wie: „Ich stelle gerade einen Antrag für …“ „Es ist mir wichtig, dass …“ „Wir haben hier eine spannende Geschichte am Laufen …“ oder auch: „Das klappt nicht.“ „ Gerade ein bisschen viel.“
Oder
„War super.“
Wir reden über unsere Arbeit. Manchmal einfach nur so. Und danach fällt das Antragschreiben irgendwie leichter. Manchmal schreibe ich gleich noch ein neues Konzept. Neue Ideen sind gekommen. Deshalb telefoniere ich gerne mit Jonas.
Neulich sagte er: „Lass uns doch auch mal mit anderen Kurator:innen sprechen.“
Und deshalb sitzen wir jetzt, an einem Montagmittag, zu neunt an einem Tisch in Biel. Es ist warm. Sehr warm. Wir trinken Kaffee.
Kurator:innen in der freien Szene sind in der Regel Musiker:innen.
Und weil sie als Kurator:innen nicht mehr verdienen als als Musiker:innen,
arbeiten sie meist auch noch einen Brotjob.
Und weil sie wissen, dass man was tun muss, sind viele auch ehrenamtlich politisch aktiv.
Und wer Familie hat, ist obendrein noch Chauffeur, Haushaltshilfe, Nachhilfelehrer:in.
Hyperaktive der Superlative.
Und trotzdem – oder gerade deshalb – vergessen sie nicht, dass zwischen jedem Ton und jedem Tun die große Stille sitzt. Die alles zum Schwingen bringt.
Deshalb können sie gut zuhören. Sehr gut sogar. Und wenn sie sprechen, haben sie etwas zu sagen. Und zwar hochkarätiges.
Jetzt fällt es mir fast schwer, darüber zu schreiben. Mein Kopf ist voll. Mein Herz auch. Voller Eindrücke, voller Bewunderung für die Kreativität, die Liebe und die Sorgfalt, mit der alle ihre Veranstaltungen gestalten.
Und ich – mit meinen deutschen Wurzeln – denke: Es ist beeindruckend, wie in der Schweiz mit Ruhe gearbeitet wird. Mit Kontinuität. Mit Qualität. Wie über Ressourcen, verteilen und geben gesprochen wird. Wie tief menschlich und poetisch Veranstaltungen gedacht und gemacht werden.
Im Zug denke ich weiter nach. Was Kommunikation wirklich bedeutet: Zusammenkommen. Dinge zum Blühen bringen. Warum diese Musik immer auch politisch ist. Subversiv. Warum Konzerte im Miniaturformateine Form von Revolution sind…. … un ich verpasse den Ausstieg in Olten. Und fahre bis Zürich.
Und lasse das Gefühl in mir wirken, dass es möglich ist, mit Menschen zusammen zu sein, die über diese Dinge nachdenken und reden – und sie auf ihre eigene Weise umsetzen.
Und so verpasse ich es auch in Arth-Goldau in den IC umzusteigen. Und bummle weiter mit dem Panoramazug.
Zwei Stunden konzentriertes Gespräch bei hochsommerlichen Temperaturen. Eine gewaltige Dosis. Kopf und mein Herz sind randvoll.
Zweieinhalb Stunden zu spät komme ich in Locarno an.
Und ja: ich habe wieder ein neues Konzept geschrieben.
Anwesend waren: Cyril Bondi, Mira Hirtel, Sara Käser, Christian Kobi, Jonas Kocher, Antoine Läng, Christian Müller, Natalie Peters, Marina Tantanozi
Text von: Natalie Peters
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