top of page

WE SEE YOU: Rezension von Vasco Viviani auf SodaPop

  • Autorenbild: Carovana091
    Carovana091
  • vor 2 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit
Ensemble Sous-Sol & Friends al Cinema Ex Rex Locarno
Ensemble Sous-Sol & Friends al Cinema Ex Rex Locarno

by Vasco Viviani


Eine äußerst vielschichtige Veranstaltung fand im Cinema Ex Rex in Locarno statt, organisiert von Carovana091 und dem Circolo del Cinema di Locarno. Zunächst wurde der zweite Teil von From Ground Zero gezeigt, einem kollektiven Langfilm, produziert von Rashid Masharawi und Laura Nikolov, in dem junge palästinensische Regisseurinnen, Regisseure und Künstler ihre Sicht auf ein Leben unter Belagerung bündeln und verschmelzen. Das Erzählen von Geschichten, Hypothesen, Hoffnungen und Träumen unter den Trümmern schnürt einem das Herz zu, zeugt aber zugleich von Mut, Widerstandskraft, Hoffnung und einer gewissen Unausweichlichkeit.


Anschliessend war das erweiterte Ensemble Sous-Sol an der Reihe, das für diesen Anlass auf ganze sechzehn Musikerinnen und Musiker angewachsen war und sich mit der Komposition Sound the Alarm des Australiers Clayton Thomas auseinandersetzte. Mit dabei waren Natalie Peters (Stimme), Enrico Teofani (Posaune), Hanspeter Wespi (Violoncello), Ueli Zysset und Luca Sisera (Kontrabässe), Sheldon Suter und Thomas Canna (Schlagzeug), Luca Manzo (Hammondorgel), Francesco Giudici und Francesca Naibo (Gitarren), Fabio Martini (Bassklarinette), Carlo Brülhart (Saxofon), Nicolas Monguzzi (Perkussion und Gong), Thomas Canna zusätzlich an Perkussion sowie Rosemarie Stucker (Stimme und Objekte). Sheldon bittet das Publikum, näher zu kommen, da der Klang rein akustisch ist und keine einzige Nuance verloren gehen soll. Luca Sisera steht vor dem Bildschirm seines Laptops bereit, und die Bläser eröffnen mit ihren Stimmen diesen Weg, der erstmals am 7. Juni 2024 im Petersham Bowling Club aufgeführt wurde.


Allmählich kommen die Perkussion, Glöckchen, die Saiten von Kontrabass und Violoncello, die Orgel, die Gitarren und die Stimmen hinzu. Luca wirkt zufrieden und führt die Performance mit plastischer Gestik, die verstummt und neu anhebt wie eine frische Morgendämmerung. Der Klang wird verschmitzt hinter den Seufzern der Stimmen und Saiten, während die Bläser vorsichtig hineingleiten. Dann folgen Knalle, Stöhnen und aufgeplatzte Bläserklänge, ohne dass Violoncello, Kontrabass und Gitarren jemals aufhören würden, eine Art ruhiges Bassbecken zu formen, das alles trägt. Doch nur für einen Moment, dann wieder ein Signal, ein Grollen, und Francesca Naibo und Francesco Giudici beginnen, sich auf gestörte Frequenzen zu bewegen, während Luca Manzo mit der Hammondorgel Tiefe verleiht und das Bläsertrio gemeinsam mit den Stimmen losstürmt.

Sirenen, prasselnde Perkussion, der ruhige, aber entschlossene Klang des Gongs. Es wirkt wie ein Auf und Ab in der Luft, mit Luca, der die Bühne betritt und mit seiner physischen Präsenz Gleichgewichte und Kapitel verschiebt, was zu tiefen, dramatischen Klängen führt, zwischen Hammondorgel, Gitarrenanschlägen und Schlagzeug. Energie verändert Form und Masse, eine körnige Sichtbarkeit taucht auf, Erinnerungen, die unter Manzos Führung fast in eine düstere Vergangenheit weisen. Die Musikerinnen und Musiker scheinen in unterschiedlichen Zuständen zu spielen, zwischen Konzentration, Blickkontakt und chirurgischer Erwartung. Heraus tritt ein starker, sehr starker Gesamtklang, der die Bewegungen der Komposition (die im Original aus drei Teilen besteht: OVER LANDUNDER FIREBLURRED BODIES und FIRE, CEASED) kohärent und organisch übersteigt.


Die Bassklarinette von Fabio Martini findet im Gong und in den beiden Perkussionen einen magischen Moment, wobei Thomas Cannas Körperlichkeit dem sanften Schritt von Sheldon Suter gegenübersteht. Dann entsteht eine Form von Homöostase, das Ensemble ist nicht kompakt, sondern geschmeidig, beweglich und nah beieinander. Ein Zeichen von Sisera setzt einen weiteren Einsatz, mit Francesca Naibos Gitarrenspiel, das in der Luft klingt, zwischen Stimmen und Perkussion. Vielleicht ist dies der klassischste Free-Moment der Aufführung, die Dämpferposaune von Enrico Teofani führt den Tanz, um dann ihrem klaren Ton Raum zu geben, bis zu einem Schrei, den ich für Fabio Martini halte, obwohl ich keineswegs sicher bin – wahrscheinlicher sind alle drei Bläser beteiligt, auch jenseits ihres Rohrblatts.


Wir sind bereits ganz woanders, eine materielle Anarchie ergreift die Bühne, eine Art tribalistische Raserei, die leicht in Scat übergehen könnte, aber in Wirklichkeit fein geführt wird, von Nicolas Monguzzi zusammengehalten in einem Dschungel, der warm und pulsierend wirkt. Stopp – die Instrumente verstummen. Nur Stimmen bleiben, alle, verschieden und ähnlich, erschöpft und angespannt, und erschütternd in ihrem Zusammenklingen mit Nicolas’ Knarren. Ferne Klagen sind zu hören, und erneut sind es Ueli, Hanspeter und die Bläser, die Bewegung entstehen lassen über den leichten Schlägen der Perkussionisten. Eine leise Phase, dennoch voller kleiner, wimmelnder Klangmikrokosmen. Mit geschlossenen Augen scheint man die Innenwände einer schlafenden Lunge zu betrachten.


Es ist das Ende, wunderschön und berührend, einer Komposition, die man gerne immer und immer wieder hören möchte.



Kommentare


Dieser Beitrag kann nicht mehr kommentiert werden. Bitte den Website-Eigentümer für weitere Infos kontaktieren.
Für Updates abonnieren

Danke fürs Einreichen!

Kulturverein Carovana091

CH34 8080 8006 2033 4863 3

via Centrale 27 – 6605 Monte Brè

SCHWEIZ

Unterstützt uns mit einer Spende oder eurer Mitgliedschaft!

Membership

  • Instagram
  • Facebook
  • Bandcamp

© 2025 Carovana091

bottom of page