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Sonata Stonata oder das poetische Bouquet


Performance von Yara Li Mennel und Natalie Peters, Performance Reihe Neu-Oerlikon, August 2022


Move and Continue – Verzerrung in Zeiten der Dissonanz von Natalie Peters Fotos: Markus Goessi Yara und ich sind hinter der Rückwand des Fahrradkellers und schauen auf das Basketballfeld. Wir hören, wie das Publikum sich vor dem Fahrradunterstand sammelt, aber wir sehen die Leute nicht. Immer noch unsichtbar für das Publikum werfe ich einen kopfgrossen Stein nach vorne in den Unterstellplatz. Die Jugendlichen und Kinder auf dem Spielfeld staunen kurz, zeigen aber ansonsten keine Reaktion. Ich werfe einen zweiten Stein. Genauso gross, – der Hall des Aufschlages erfüllt den Beton. Ich laufe den Steinen hinterher, denke kurz an den Stalker bei Tarkowski. Richtung finden, indem man sich den Gegebenheiten ergibt... noch ein Stein. Diesmal gegen die Wand. Nun, beim dritten Wurf spüre ich sein Gewicht und ich spüre die Blicke des Publikums auf mir. Yara ist noch nicht sichtbar. Vor mir steht das Mikrophon und ein Klapptisch. Auf diesem: eine Giesskanne, eine gläserne Blumenvase und ein Goldfischglass. In allen Gefässen ist etwas Wasser. Ausserdem liegen dort 2 Schläuche. Ein transparenter und ein grüner. Ich nehme den transparenten Schlauch und beginne hinein zu singen. Durch den Schlauch singe ich den Raum an, die Leute, die Wände. Ich spüre die besondere Akustik des Raumes, den Widerhall meiner Stimme in mir und zwischen dem Beton.

Ich spüre die Bewegungen, die Stimmen, die Energie der jungen Menschen auf dem Basketballfeld. Stark, präsent, verspielt. Immer wieder prallt der Ball gegen die Gitter. Laut. Ich werfe den grossen Stein im Fahradkeller gegen die Wand. Das ist noch Lauter. Und wieder prallt der Ball gegen das Gitter. Ich schicke durch den Schlauch meine Stimme in Richtung Spielfeld, dann singe ich in meine Hosentasche. Ich trage eine schwarz - weisse Arbeitshose, darunter ein Hemd mit barocken Ärmeln und Kragen. Klassisch. Ich lasse den Schlauch weg und singe eine klassische Note. Da sehe ich Yara. In einem orangefarbenen Arbeiteroverall rollt sie langsam in den Unterstand. Sie trägt einen Helm. An einem Fuss einen Rollerblade, am anderen einen weissen Gummistiefel.

Auch der Helm ist weiss.

Sie bewegt sich langsam, sanft wie in einem Traum, dabei ist sie jedoch sehr präzise. Jede Bewegung von ihr kreiert ein neues fremdes Bild in dieser nüchternen kahlen Atmosphäre des Unterstandes. Ich singe weiter. Lange volle Töne, erst leiser dann immer lauter und höher. Da: die Jungs von dem Spielfeld, singen zurück, sie antworten auf meinem Gesang mit ihren Stimmen. Einem Geheul. Ich werde rhythmischer. Sie folgen und antworten perfekt im Takt. Yara nimmt diese Zwiesprache in ihren Körper und mit grosser Konzentration hält sie ein energetisches Gegengewicht, zu dieser sprudelnden Dynamik. Ich lege den Schlauch weg. Gehe ans Mikrofon. Ich flüstere, hauche, zische. Der Verstärker trägt die Stimme nun nach draussen. Das Echo von hinten verstummt. Aber zwischen meinen Phrasen lasse ich Zeit, um zu spüren wie sich Jugendlichen hinter mir bewegen, wie die Flugzeuge über den Himmel ziehen, welche Stimmen über den Platz wehen. All die Geräusche einer Stadt, die ich in meinen Alltag nicht so erleben kann, die mich dafür aber jetzt umso lebendiger und intensiver umwogen.

Yara antwortet mir nun auch mit einer kleinen Pfeife, die Töne sind fast durchsichtig und begleiten mich federleicht. Sie spielt völlig in Syntonie mit ihrer Bewegung. Immer wieder setzen wir zusammen ein, als würden wir zusammen atmen. Langsam steigere ich wieder meine Lautstärke, entferne mich vom Mikrophon. Lasse die Stimme wieder frei schallen. Da ist wieder Chor vom Spielfeld – als hätten sie nur darauf gewartet.

Das Publikum, lacht. Verblüfft darüber wie viel akustischer Raum uns zur Verfügung steht. Wie animiert und sensibel unsere Klangumgebung ist. Einfach menschlich.

Diesmal fordere ich die Kinder heraus. Ich singe einen langen, langen Ton. Ich halte ihn und halte ihn und halte ihn. Ihre Stimmen, die zu beginn mit einstimmen, fallen langsam ab. Ich halte den Ton noch länger. Eine ganze kleines Weile, dann werde ich leiser. Yara ist am Boden bei ihrer Violine,

Ein neues Klangelement. Sie spielt, kratzt, federt den Bogen hält die Musik wieder vorne im Raum. Nun nehme ich die Giesskanne und giesse zwei Worte auf den Boden:

DU und DA.

Dann nehme ich das Goldfischglass. Summe, singe, spreche hinein.

Ein intensiver feiner Moment. Ein Fussball rollt in den Unterstand. Und rollt von allein wieder hinaus. Ich wundere mich, dass der Boden offenbar ein Gefälle hat.

Ich werfe wieder einen grossen Stein gegen die Wand. Und noch einen, dann gehe langsam ab.

Yara bleibt noch. Mit ihren seidenen Bewegungen auf dem rauen Beton.

Nach zwei Minuten ist auch sie wieder auf der Rückseite des Unterstandes.

Wir schauen zu den Kindern, die uns nun neugieriger beobachten. Wir lachen ihnen zu und geben ihnen unseren Daumen hoch. Der Applaus ruft uns nach vorne.

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